Die Grimmelshausen-Gesellschaft im Jahre 2014

Bericht über die Tagung
„Chiffrieren und Dechiffrieren in Grimmelshausens Werk und in der Literatur der Frühen Neuzeit“

12.–14. Juni 2014 in Gelnhausen

Die Grimmelshausen-Gesellschaft veranstaltete vom 12. bis zum 14. Juni 2014 in Gelnhausen eine Tagung zum Thema „Chiffrieren und Dechiffrieren in Grimmelshausens Werk und in der Literatur der Frühen Neuzeit“. Nach Grußworten von Thorsten Stolz, Bürgermeister der Stadt Gelnhausen, und Peter Tauber, Generalsekretär der CDU, Mitglied des Deutschen Bundestages, wurde die Tagung vom Präsidenten der Grimmelshausen-Gesellschaft eröffnet.

Der Vortragsreigen begann mit Klaus Schmeh (Gelsenkirchen), der einen Überblick über Geschichte, Methoden, Probleme und Forschungsbedarf auf dem Gebiet der historischen Kryptoanalyse bot. Christine Roll (Aachen) ging dem Wandel von Chiffren in der politischen Kommunikation der Frühen Neuzeit nach. Einen Schwerpunkt bildete die chiffrierte diplomatische Korrespondenz bei den Habsburgern. Kryptographie und Steganographie im erstmals 1679 erschienenen Natürlichen Zauberbuch von Willem Witgeest standen im Mittelpunkt des Vortrags von Karl de Leeuw (Amsterdam). Es gelang dem Referenten nicht nur, Quellen des Bestsellers nachzuweisen – etwa Giambattista della Portas Magia Naturalis –, sondern auch das Pseudonym des Autors aufzudecken: Verfasser des ca. 1000 Zaubertricks enthaltendes Werkes ist der Buchhändler, Verleger und Schriftsteller Willem Goeree (1635–1711). In einem anregenden Abendvortrag mit dem Titel „Simplicianischer Tetramorph. Zum Elementar-Geist des Titelkupfers von Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch“ stellte Klaus Haberkamm (Münster) seine originelle Interpretation des rätselhaften und vielfach gedeuteten Mischwesens vor. Anhand von graphischen und skulpturalen Beispielen aus der Buch- und Kunstgeschichte zeigte er unter anderem die Tradition des Tetramorphs mit ihren zahlreichen Darstellungsvarianten und warf die Frage auf, ob die simplicianische Kompositfigur von den religiösen Vorlagen inspiriert sein könne.

Zu Beginn des zweiten Konferenztages ging Dieter Breuer (Aachen) den Informationen zum Chiffrieren und Dechiffrieren nach, die Grimmelshausen dem 28. Diskurs in Tomaso Garzonis Piazza Universale entnehmen konnte. Hier und in anderen Diskursen seines Hauskompendiums fand der simplicianische Erzähler Näheres zu Zifferanten, Hieroglyphisten und Kabbalisten. Friedrich Gaede (Freiburg i. Br.) referierte über „Grimmelshausens Code: ,gründliches fassen‘ eines ,gantzen Lebens‘“ und legte im Rekurs auf Philosophie und Psychoanalyse den Akzent auf die hintergründige Symbolik des Selbst. Eric Achermann (Münster) stellte die Frage „Wie liest sich das Buch der Natur?“ und setzte sich mit der exegetischen Methode und Darstellung des Welthaften bei Grimmelshausen auseinander. Vor dem Traditionshintergrund der augustinischen Zwei-Buch-Lehre standen Buchmotive, die in simplicianischen Romanen eine wichtige Rolle spielen, im Zentrum des Vortrags: das auf Palmblättern geschriebene Lebensbuch Simplicii, die Schermesser-Episode und die Gaukeltasche. Martin Helbig (Freiburg i. Br.) ging auf die Semantik der Baldanders-Allegorie ein: „Mit anderen Augen sehen. Ein Beitrag zur Selbstsicht bei Grimmelshausen“. Im Mittelpunkt des Vortrags von Wolfgang Winter (Achern/Renchen) standen die Bedeutung und Funktion der Zahl 666 im Werk Grimmelshausens. Er gelang ihm, die Relevanz von Zahlensymbolik und -kombinatorik für das simplicianische Œuvre an mehreren Beispielen herauszuarbeiten. Verena Börder (Bochum) stellte Traumsymbolik und Traumdeutung in ihrer Funktion als transzendente Marker im Grimmelshausens Keuschem Joseph und das narrative Konzept der „fiktiven Autorschaft“ zur Diskussion.

Die Vortragsreihe des dritten Tages eröffnete Jakob Koeman (Maartensdijk), der in einem erhellenden Ausblick auf die Epoche der Romantik die Chiffrensprache der Natur bei Grimmelshausen, Eichendorff und Caspar David Friedrich analysierte und die „Sakralisierung“ der Landschaft in ihren religiösen Dimensionen als zu dekodierende ,Heilsbotschaft‘ akzentuierte. Dem Echo der im 17. Jahrhundert weit verbreiteten Steganographia von Johannes Trithemius bei Grimmelshausen wandte sich Maximilian Gamer (Zürich) zu. Er deutete die Baldanders-Episode als literarische Trithemius-Apologie. In einem perspektivenreichen Vortrag führte Tomas Tomasek (Münster) die Tagungsteilnehmer in die vielgestaltige frühneuzeitliche Rätselliteratur, eine noch immer kaum erforschte Textgattung, ein. Ruprecht Wimmer (Eichstätt) stellte Theorie und Praxis von Verschlüsselungen und Verrätselungen bei Jesuiten am Beispiel der Schola Steganographica des Kaspar Schott S, J. (Nürnberg 1665/1680) und der Philosophie des images énigmatiques von Claude-François Ménestrier S. J. (Lyon 1694) dar. Den Schlußpunkt der Tagung, die zahlreiche neue Aufschlüsse zum Thema Chiffrieren und Dechiffrieren im Werk Grimmelshausen und in der Literatur der Frühen Neuzeit bot, setzte Hans-Joachim Jakob (Siegen). Er beleuchtete die in der Barockforschung wenig beachtete Steganologia & Steganographia Nova (um 1620) von Daniel Schwenter und ihre Verbindung zum ersten Band der Mathematischen und philosophischen Erquickstunden (1636).

Unter Mitwirkung von Klaus Haberkamm und Klaus Schmeh gab es am Vormittag des 12. Juni 2014 ein Programm für Schulklassen zum Thema „Chiffrieren und Dechiffrieren“. Schüler des Grimmelshausen-Gymnasiums und der Beruflichen Schulen Gelnhausen konnten Einblicke in Verschlüsselungstechniken und Anagramme sowie in die Geschichte von Geheimschriften vom Altertum bis in die Gegenwart gewinnen. Zum Rahmenprogramm der Tagung gehörten ein Rundgang durch die sehenswerte Altstadt, ein Besuch des Museums Gelnhausen mit seiner neugestalteten „Grimmelshausenwelt“ und ein Abendspaziergang zum Halbmond. Simone Grünewald (Kulturstiftung der Barbarossastadt Gelnhausen) hatte die Tagung hervorragend organisiert und stand den Tagungsteilnehmern stets mit Rat und Tat zur Seite.

Peter Heßelmann (Münster)